Dienstag, Dezember 29, 2009

Sarah Einfeld - Einstige Gerrer Chassidiya

B"H

Die Chassidut Gur ist die größte chassidische Gruppe in Israel und ihre Chassidim leben überwiegend in Jerusalem oder beim Gerrer Rebben Yaakov Aryeh Alter in Bnei Brak. Darüber hinaus bestehen etwas kleinere Gemeinden in Arad sowie in Ashdod. Im Ausland findet man die Gerrer Chassidim in New York, London oder einige selbst in Zürich.

Sarah Einfeld wurde in die chassidische Gruppe hineingeboren und begann schon im Alter von 15 Jahren weltliche Romane zu lesen. Das Lesen weltlicher nichtrelig. Literatur ist in derlei Kreisen normalerweise verpönt. Beim Lesen stellte sie fest, dass eine da draußen noch so eine wesentlich andere Welt gab als jene strenge, in der sie aufwuchs. Eine andere Welt als ihr Mädchenseminar "Beit Yaakov", wo die Lehrerinnen massregeln, dass sobald sie etwas Falsches (nicht Thora - bzw. Gruppengemäss tue), sie sofort bestraft werde. Entweder von G - tt oder der Gerrer Gemeinde. Die Gruppe lebt nach strengen internen Regelungen und wenn sich ein Mitglied nicht an diese hält, so wird es bestraft, in dem, zum Beispiel, seine Kinder aus den Schulen suspendiert werden. Wer will schon seine Kinder mit jenen in einem Klassenraum sitzen lassen, wenn deren Eltern wer weiß was daheim treiben ? Andererseits ist dieses Verhalten sehr typisch für viele ultra - orthodoxe Ausrichtungen im Judentum. Bei den Nationalreligiösen vielleicht ein kleines bisschen weniger ausgeprägt als in der haredischen (ultra - orthodoxen) Gesellschaft. Und hier wiederum mehr bei den Chassidim als bei den litvischen Haredim. Ein Fernseher, ein klein wenig unanständigere Kleidung oder säkulere Literatur besitzen schon das Zeug, eine Yeshiva (relig. Schule) Karriere oder einen Schidduch (Blind Date bei der Ehepartnersuche) zu zerstören. Was sollen die Nachbarn denken, wenn in der Familie etwas schiefläuft ?



Der Gerrer Rebbe Yaakov Aryeh Alter mit einigen seiner Chassidim


Die Meinungen über Sarah Einfeld sind extrem gespalten. Manche Israelis sind der Ansicht, dass es für sie ein richtiger Schritt war, die Chassidut Gur zu verlassen. Andere meinen, Sarah hätte doch wenigstens relig. bleiben sollen, anstatt sich in das vollkommen säkulere Leben zu stürzen. Modern - Orthodox, Chabad oder selbst litvisch. Mitzwot einhalten und nicht am Yom Kippur essen oder am Schabbat reisen.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich Sarah momentan noch mitten in ihrer Rebellionsphase sehe. Diese wird noch einige Zeit anhalten; solange bis sie selbst zu gewissen Einsichten gelangt. In der Zwischenzeit aber will sie das geniessen, was ihr zeitlebens untersagt war: Freie Meinungsäußerung und all jene Dinge, die eine anständige chassidische Frau halt nicht tut. Sie hat das Bedürfnis alles aufzuholen und selbstverständlich steht noch die Rache im Vordergrund. Irgendwann wird sie zu dem Entschluss kommen, einiges zu ändern, denn im Grunde genommen schadet sie nicht der Gruppe, sondern lediglich ihrer eigenen Seele.

Vor drei Tagen sprach ich mit einem haredischen Journalisten des staatlichen Rundfunksenders "Kol Israel" und der meinte gelangweilt, dass es sich bei Sarah um eine Verrückte handele. Mefageret, zurückgeblieben, arrogant, doof, die nur nach Aufmerksamkeit dürstet. "Wem es in einer chassidischen Gruppe halt nicht passt, der soll sie verlassen, aber nicht solch einen gewaltigen Aufstand betreiben wie Sarah. Have a nice life and goodbye ! Man suche sich neue Lebensinhalte und baue sich etwas auf, doch was tut Sarah ? Sie kreist immer wieder neu um ihre Vergangenheit. Um die Chassidut Gur und wie sehr sie dort litt", so der Journalist.

Er ist mit seiner Aussage beileibe nicht allein. Ausgerechnet viele Männer betrachten die selbstbewusste intelligente Sarah Einfeld als querulante rebellische Frau, die endlich ihre Klappe halten soll. Ganz besonders in der israelischen Machowelt. Das Einzige, was zahlreichen hiesigen Männern, unabhängig davon, ob sie relig. oder säkuler sind, einfällt ist, dass Sarah so einen riesen Aufstand mache, weil sie Aufmerksamkeit suche. In Wahrheit hat sie sicher irgendwelche emotionalen psychischen Probleme und Gur kann froh sein, dass die Tussi ihre Koffer packte. Sie selber sagt, dass sie seit eineinhalbjahren kein Wort mehr mit ihren Eltern wechselte. Nicht, weil da gegenseitiger Hass besteht, sondern weil die Gerrer Gesellschaft eine derartige Beziehung nicht vorsieht. Wer einmal geht, der geht.
Theoretisch kann Sarah in die Chassidut Gur zurückkehren und bereuen. Doch zu welchen Bedingungen ? Dass sie weiterhin wie eine rebellische Aussätzige behandelt wird und man ihr misstrauische Blicke zuwirft ? Wer kann und will so leben ?

In einem Zeitungsartikel des israelisch - säkuleren Massenblatts "Yediot Acharonot" (vom Oktober 2009) berichtet Sarah, dass ihre Onkel sie während ihrer Kindheit nicht einmal ansahen. Auf ihre Frage, warum das so sei, erhielt sie keine Antwort. Später wurde ihr dann bewusst, dass dieses Verhalten in Gur üblich sei. Aus Anstandsgründen schauen Männer keine Frauen oder Mädchen an.
Als sie im Alter von 18 Jahren eines Tages von der Schule heimkam, meinte ihre Mutter, man habe einen Schidduch (potentiellen Ehekandidaten) für sie gefunden. Sarah wehrte sich, sprach jedoch mit dem Chassid zwei Stunden lang. Das nächste Mal als sie ihn sah, war unter der Chuppah (dem Hochzeitsbaldachin).
Unzählige Haredim meinen nach wie vor, eine Rebellin kleinzukriegen, indem man sie verheiratet. Dann nämlich wache ein Mann über sie und sie bekommt Kinder, was zwangsläufig dazu führe, dass ihr die Zeit zum Rebellieren fehlt.

In ihrem Blog zitiert sie andere Gerrer Frauen, die die Hochzeitsnacht als einzige "Vergewaltigung" empfanden. Die Chassidut Gur hat eh "wilde" Sextakanot (Gesetze) und es ist allgemein üblich, nur die Geschlechtsorgane zum Sex zu entblößen. Grundsätzlich gehe man mit einem neuen Ehepartner ins Bett, der einem völlig unbekannt ist. Und nicht nur den Frauen geht es so, sondern genauso den Männern.

"Es war wie eine Vergewaltigung. Ich fühlte mich beschmutzt und wollte seinen Körper nur noch von mir herunterstossen", so zitiert Sarah die Frauen und vielleicht auch sich selbst. Letztendlich verliess sie die Gruppe, reichte die Scheidung ein und zog mit ihren zwei kleinen Kindern nach Ramat Gan (bei Tel Aviv). Im unten folgenden Video sehen wir einen weiteren Ausschnitt aus der Dokumentation "Soreret - Rebellin", welcher im Oktober 2009 im israelischen TV gezeigt worden ist. Hier berichtet Sarah zusammen mit einer zweiten Rebellin von der Frau in der haredischen Gesellschaft. Ihre 6 Jahre alte Tochter fragt sie, warum man denn nicht einmal auf Besuch zur Oma (Sarahs Mutter) fahre. "Weil meine Mutter nicht mit meinem Lebensweg übereinstimmt und ich nicht mit dem ihre", erklärt Sarah.

Nein, sie habe Gur nicht aus Hass heraus verlassen, sondern weil sie ihre Leben nicht so entwickeln konnte, wie sie gerne wollte. Auch ihren Ex hasse sie nicht; einzig und allein ihre Träume wollte sie verwirklichen. In Gur sei alles zu geregelt. Selbst der Sex, zu dem es speziell ausgebildete "Madrichim - Guides" gibt, die darauf achten, dass ja die strengen Sexgesetze eingehalten werden.

Im Video wird sie von einem Journalisten befragt, wie sie denn jetzt in der säkuleren Welt zurecht komme. Sei das nicht schwierig, genau gegenteilig zu leben ?
"Klar sei es das, so Sarah, und es gibt vieles, was sie am säkuleren Leben ungemein störe. Sie stimme nicht allem zu und versuche, sich von vielem fernzuhalten. Es gibt keine einzige perfekte Gesellschaftsrichtung auf dieser Welt und alle haben so ihre Problemchen zu bewältigen.

Ich las unzählige Kommentare in israelisch - haredischen Foren wie "Hyde Park" sowie auf weiteren Sites. Die generelle Antwort auf Sarah lautet, dass sie verrückt sei. Ausgeflippt halt. Sie sollte ihren Mund halten und lieber ein neues Leben beginnen. Anderweitige Kommentarschreiber fühlen mit ihr. Hierbei besonders Frauen. Viele haredische Frauen würden gerne aus der Gesellschaft ausbrechen, wagen es aber nicht. Entweder haben sie einfach angst oder schon 4 - 5 Kinder und wer will da noch groß den Ausbruch beginnen ? Wo sollen diese Frauen denn hin ?

In einem Kommentar auf Sarahs Blog stellte jemand die Frage, wie man den nur helfen könne.
"Wie ? fragt Sarah zurück. Indem ihr Eure Tochter nicht in die Gesellschaft hineinzwingt. Wenn Ihr Frauen es hasst, dann lasst Eure Töchter nicht in den gleichen Schlamassel rennen. Sollen sie so werden wie Ihr Mütter, die aus Frust still weinen ?"

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich von Sarah halten soll. Es kursieren zuviele Meinungen. Sogar von Freunden der Familie, die da sagen, dass Sarah ihren Eltern dankbar sein soll, denn die haben ihr fortgeschrittene PC - Kenntnisse finanziert. Und das sei schliesslich nicht allzu selbstverständlich in Gur.

Ich las fast alle ihrer Blogpostings und glaube, sie ist ehrlich. Es ist offensichtlich, dass sie gelitten hat; auch dann, wenn sie immer wieder aufs Neue betont, dass ihr Ex ein guter Mann war. Nichtsdestotrotz stimme ich jenen Kommentaren zu, die da sagen, Sarah solle ein neues Leben beginnen und nicht "nur" an ihrer Gur Vergangenheit kleben. Was ich ebenso wenig begreife ist, warum sie in der "Yediot Acharonot" ihren halbnackten Körper zur Schau stellt. Aus Rebellion ? Denkt sie dabei nicht an ihre Kinder ?
Trotz allem jedoch bewies sie Mut mit ihrem Schritt, die Gruppe zu verlassen. Alles hinter sich zu lassen, um in einer neuen, ihr unbekannten, Gesellschaft ein freieres Dasein zu finden. Ob ihr das gelingt ?




Interview mit Sarah Einfeld.
U.a. erklärt sie ihrer Tochter, warum sie nicht die Oma besuchen fahren, dass sie fünf Jahre verheiratet war, dann Gur verliess, sich ein Leben aufbaute und warum sie nicht alles Säkulere mag.

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