Donnerstag, Januar 14, 2010

Meeting mit Sarah Einfeld

B"H

So, wie ist sie nun, die Sarah Einfeld ?

Vor ca. 1,5 Jahren verliess sie die größte chassidische Gruppe Israels, die Chassidut Gur (Jiddisch: Ger) und lebt seither mit ihren zwei kleinen Kindern in Ramat Gan (bei Tel Aviv).
Seit zwei Jahren ist ihr persönlicher Blog in Israel ein Hit und im letzten Sommer wurde ein Film über sie vorgestellt, welcher einen Preis beim Haifaer Filmfestival gewann (siehe Video unten).

Erst seit ca. zwei Monaten lese ich Sarahs Blog. Ich bekam die Adresse von einer Bekannten, deren Arbeitskollegin wiederum den Blog regelmässig liest.

Sarah Einfeld hat eine wunderbare Art zu erzählen und meiner Meinung nach sollte sie ein Buch schreiben. Ihr Leben in der Chassidut Gur, ihre fünfjährige Ehe, ihre Scheidung und ihr Weggang aus der Gruppe. Ihre Eltern verweigern jeglichen Kontakt mit ihr. Eine Belastung sowohl als auch Schuldgefühle, die wiederum Depressionen hervorrufen.

Warum traf sich Sarah Einfeld mit mir ?
Ich nahm mit ihr Kontakt auf und bekam fast umgehend Antwort, mich besser zu identifizieren. Sie wollte sichergehen, dass ich kein Spion von Gur bin, nehme ich an.

Eine eingehendere Identifizierung hilft wenig und so erzählte ich Sarah so einiges aus meinem Leben in der haredischen (ultra - orthodoxen) Welt. Außerdem stellte ich ihr einige Fragen. Anders als Journalisten, die da nach einer Story gieren und vom eigentlichen Thema keine Ahnung haben. Ein Freund von mir, ein Chassid einer anderen Gruppe, sagte mir sogar, ich solle Sarah treffen, damit sie jemanden zum Reden hat. Dieser Meinung folgte wohl auch Sarah selbst, denn sie lud mich sofort zu sich nach Hause zum Schabbat ein. Leider war ich an dem Schabbat nicht in Tel Aviv und wir verschoben unser Treffen auf den letzten Mittwoch.

Am Telefon redet sie kaum mit Leuten, die sie nicht persönlich kennt, denn noch immer bleiben die Drohungen von Gur (ihr die Kinder zu kidnappen) in schlimmer Erinnerung. Und so traf ich sie letztendlich nach ewigen Telefonaten und Verschiebungen. Ich fuhr nach Ramat Gan hinüber und wir trafen uns in einem Cafe.

Das Erste, was mir auffiel war, dass sie nicht so ausschaut wie auf den Youtube Videos. Vielleicht im Prinzip, doch ist sie in Wahrheit wesentlich jünger. Wie ein Teenie mit ihren 26 Jahren. Sie wollte alles von mir wissen und auf diese Art und Weise berichtete ebenso von sich selbst.

Extrem hyperaktiv ist sie. Kaum sitzt sie still, was mich, zu meinem Erstaunen, nicht aus der Fassung brachte. Ich bin einiges an Leuten gewöhnt. Ich sagte ihr, dass es absolut schwer ist, mit einem Menschen wie ihr zu sprechen, die äußerlich absolut säkuler aussieht (neben ihrem Tattoo hat sie sich einen Lippenpiercing machen lassen), doch sprechen tut wie ein haredisches Beit Yaakov Mädchen. Da sitzt einem jemand gegenüber, in engen Jeans und ausgeschnittenem T - Shirt, der die chassidische Gesellschaft und jeden Namen in der Chassidut Gur kennt. Ansonsten erlebe ich dies ausschliesslich nur bei Frauen, die sich mit einer Perücke ihr Haar bedecken und die auch sonst höchst ultra sind.

Nein, sie spreche kein Jiddisch, sondern verstehe es nur.
Nichts Ungewöhnliches bei der Chassidut Gur !

Nein, sie glaube momentan nicht besonders an G - tt, obwohl sie jeden abend mit ihren Kindern "Schema Israel" bete.
"Wie kann eine G - tt viele Frauen in der haredischen Gesellschaft so leiden lassen ?"

Ich sagte ihr, dass die Gesellschaft ebenso positive Seiten hat, wenn man sie denn suche. Derzeit sucht Sarah gar nichts, sondern geniesst ihre Freiheit. Der Moment des morgentlichen Aufwachens gehöre ihr allein.

Wir beide geniessen es, die haredische Gesellschaft von außen heraus zu betrachten. Beide waren wir einmal selbst involviert; sie wesentlich mehr als ich. Und dieser Punkt ist es dann auch, den ihr sämtliche Haredim ankreiden. Sie sei und werde immer eine "chassidische Tochter" bleiben, egal, was sie veranstalte. Sie gehört nun einmal dazu, selbst wenn sie in der Mitte Mea Shearim mit einer Schinkensemmel daherkäme.
Einmal dabei, immer dabei !

Wir hatten nur zwei Stunden Zeit zum Diskutieren und dabei lernte ich auch noch einen Bekannten von ihr kennen. Auch abgehauen aus der haredischen Gesellschaft, doch er erhält den Kontakt zu seinen Eltern, während Sarahs Eltern sich verweigern. Es gibt drei Bedingungen ihrer Eltern: 1. Sie müsse zu Gur zurückkehren. 2. Sie müsse als geschiedene Frau ihre Haare ebenso mit einer Perücke bedecken. 3. Sie müsse sich von "Yediot Acharonot" in anständiger Kleidung photographieren lassen. Im vergangenen Oktober liess sich sich gerade in der Zeitung ziemlich halbnackt abbilden, was sie selber nicht schlimm findet.

Was ich an Sarah Einfeld bewundere ?
Ihre Bestimmtheit, mit der sie sich offenbar über alle Schuldgefühle hinwegsetzt. Ohne sich vorher rituell die Hände zu waschen, stopfte sie die Brotscheiben in sich hinein. Ich dagegen mache mir jedesmal Gedanken, ob ich dies nun auch sollte oder nicht.
Trotz allem wird auch Sarah all den Selbstvorwürfen nicht entkommen. Darüber gesprochen haben wir bisher kaum, wollen uns aber bald wieder treffen. Bis dahin halten wir regen e - mail Kontakt. Auch einige ihrer Texte werde ich ins Englische übersetzen und sie will neue Artikel diesbezüglich verfassen. Nur ist alles stets eine Frage der Zeit, denn sie hat zwei kleine Kinder zu versorgen.

Die Finanzen sind ein Problem und ihr Ex erlaubte ihr nur einen einzigen Koffer mitzunehmen. Am Ende unseres Gespräches stürzte sie sich auf mich und umarmte mich.

Die Chassidut Gur (genauso wie andere chassidische Gruppen) hätte viel früher reagieren müssen. Gruppenmitglieder, die sich nicht zurechtfinden, darf man nicht einfach als "Rebellen" oder "verrückt" abtun, sondern stattdessen sollte gemeinsam mit ihnen ein Lösungsprogramm auf sozialer Ebene ausgearbeitet werden. Nicht einfach nur herumdrohen und meinen, mit Zwang erledige sich alles von allein. Sarah Einfeld wurde ein Opfer dieser harten Politik, aber zurück will sie auf keinen Fall.


Sarah Einfeld in ihrem Film (Auszug ihrer Bloggeschichten sowie gegen geschlechtergetrennte Busse in Jerusalem). 
 


10 Kommentare:

  1. Anonym11:59 AM

    Sicherlich kann man der Chassidut auf spiritueller Ebene auch positive Seiten abgewinnen, aber was hat das letztendlich schon für eine Bedeutung, wenn man sich ansonsten nahezu rechtlos und observiert fühlt?
    Dann kann ich nämlich auch all die positiven Aspekte nicht entfalten oder gar genießen.

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  2. B"H

    Besonders geborene Chassidim (maennlich und weiblich) sehen das etwas anders. Wenn Du hineingeboren bist, kennst Du nichts anderes und wirst automatisch durch die Erziehung auf das Leben in der Gruppe vorbereitet. Klar, gibt es eine Welt drumherum, aber ein Mitglied lebt ueberwiegend innerhalb der Gruppe. Mit den Regeln und Braeuchen.

    Von daher betrachten die Mitglieder ihre Gruppe als ihre Gemeinde. Ihre Heimat, die ihnen Sicherheit bietet.

    Voellig rechtlos wurde ich nicht immer sagen. Es gibt offenere Gruppen und selbst in Extremgruppen bestehen Rechte. Es kommt natuerlich immer darauf an, wie man seine Beduerfnisse formuliert und ausleben will. Wenn man in einer Gruppe lernt, dann weiss man sich anzupassen und dennoch irgendwie ausgefuellt zu leben. Diese Verhaltensregel bekommt schon ein jeder Yeshivaschueler schnell mit.

    Selbst die Aussteiger geben zu, dass es keine perfektere hilfsbereitere gesellschaft gibt als die haredische Gesellschaft. Als ein Chassid namens Noam Starik die Toldot Aharon verliess, eroeffnete er mehrere hebraeische Blogs und gab in jedem bekannt, wie sehr er die Gruppe und deren Sicherheiten vermisse. Ganz besonders bei unserer heutigen gleichgueltigen Umwelt.

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  3. So wie ich das sehe ist dieses Mädchen verunsichert und auch, verständlicherweise, unreif.

    Die Tattoos und piercings würde ich als Überschwangreaktionen deuten.

    Diese Frau braucht Kontakt zu Leuten die "normal-religiös" und traditionell sind, sonst kann sie sehr schnell ist sehr falsche Kreise abdriften.

    Das sie kein Netitlat Yadaim macht zeigt das sie niemals den wahren Sinn dessen erkannt hat, sie hat Gebote mechanisch erfüllt.

    Der Prozess des Sich-Wiederfindens oder Neufindens kann Jahre oder Jahrzehnte dauern. Mit Sicherheit wird sie dann einiges bereuen was sie jetzt in der ersten Reaktion tut.
    Ich kenne auch Leute die haben mit Tattoos angefangen und auf einmal damit aufgehört weil sie religiös(er) wurden, die Tattoos bleiben leider.

    Off the Derech ist ein Problem das leider viele noch nicht erkannt haben. Diese Leute sehen sich am Ende der Leiter und haben intelektuell und spirituell nach oben oder nach den Seiten keinen Raum mehr, da bleibt nur der Absprung von der Leiter.

    Nicht zu unterschätzen ist auch immer eine latente Selbstmordgefahr! Aus dem Grund braucht sie immer Leute mit denen sie Kontakt aufnehmen kann, auch am Shabbes. Also immer jemand vor Ort!

    Ich wäre auch nicht überrascht wenn sie wieder zu Gur zurückkehren würde, dann aber als andere Person.

    Joshua

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  4. B"H

    Zu Gur zurueck wird sie auf keine Faelle mehr gehen. Eher sehe ich sie traditionel orthodox werden.

    Das Piercing sowie das Tattoo sehe ich als Aufholung einer verpassten Jugend. Irgendwie haben alle von ihnen das Gefuehl, etwas verpasstes nachholen zu muessen. :-)

    Uebrigens lud ich sie zum Schabbat nach Jerusalem ein; zusammen mit ihren Kindern. Ich habe ihr eine Platz zum Uebernachten arrangiert und sie wollte kommen. Allerdings ist sie recht instabil und bisher habe ich noch keine definitive Zusage bekommen.

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  5. Genau, sie will jetzt ein Vakuum füllen, egal mit was.

    Genau da liegt die Gefahr, viele nehmen alles mit was kommt, keine Grenzen.
    Solche Personen sind auch anfällig für Sekten oder eben Missionare, da sollte man ein Auge drauf haben.

    Gerade Leute aus sehr geschlossenen Kreisen kommen mit dem "normalen ALltag" schwerer zurecht und können schneller Opfer werden.

    In Deutsch sagt man das solche Menschen noch nicht "chemisch gereinigt" sind, sind oft vertrauenselig.

    Bei Sarah kann es sein das die Kinder noch einiges verhindern, schliesslich hat sie ja Verantwortung für sie. Ohne die Kinder wäre es vermutlich freier Fall.



    Joshua

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  6. B"H

    Missionare haben weniger eine Chance bei Aussteigern; vielmehr ist die Gefahr des Drogenmissbrauchs viel hoeher, denn man will ja etwas nachholen und ALLES ausprobieren, was vorher verboten war.

    Ich glaube nicht, dass sie ohne die Kinder ein freier Fall waere. Eher waere sie wohl unabhaengiger. So ist jeder Tag eine neuer Ueberlebenskampf. Job und so.

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  7. Gut, ich gehe nur davon aus was üblicherweise passieren kann, mag sein das es bei ihr anders ist.

    Sich als jüdische Gruppe innerhalb der jüdischen Gemeinschaft zu sehr abzuschotten birgt grosse Gefahren, für den Einzelnen wie auch für die Gemeinschaft.

    Die Kinder bremsen sie etwas und Unabhängigkeit wird ohnehin oft überschätzt. Wovon will sie denn jetzt leben? Wie sieht es bei ihr mit Schulbildung oder Ausbildung aus?

    Mich interessieren bei ihr die wirklichen Gründe warum sie "ausgestiegen" ist. Da muss schon vor lange der Heirat was vorgefallen sein.

    Joshua

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  8. B"H

    Insgesamt lebt die chassidische Gruppe GUR ganz und gar nicht so abgeschottet, wie es manchem erscheinen mag. Dennoch leben die meisten halt in ihren Gebieten in den jeweiligen Stadtteilen und die Kinder gehen auf Gur - Schulen. Somit findet die Erziehung innerhalb der Gruppe statt.

    In dem Zeitungsinterview der "Yediot Acharonot" sagte Sarah, sie habe mit 15 angefangen, weltliche Buecher zu lesen.

    Ein Ausstieg geschieht normalerweise nicht von heute auf morgen, sondern ist ein Prozess ueber einen laengeren Zeitraum hin.

    Leider waren Sarah und ich beim ersten Treffen kaum auf alles zu sprechen gekommen, denn irgendwie hatten wie stets andere Themen. :-)

    Was mit Ausbildung ist, weiss ich noch nicht. Laut Presse arbeitet sie als Kurierfahrerin. Beim ersten Treffen wollte ich nicht gleich mit der Tuer ins Haus fallen und nach saemtlichen privaten Details fragen.

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  9. Letztendlich ist sie alt genug und muss wissen was sie tut.

    Ich dachte nur das steckt etwas mehr dahinter als das Lesen von Romanen.

    Ansonsten gibt es immer wieder Leute die unspektakulär aussteigen.

    Joshua

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  10. B"H

    Vor ein paar Tagen gab es in der Zeitung einen riesigen Artikel ueber eine weitere Aussteigerin. Der Wirbel wurde gemacht, weil es sich um die Tochter einer Knessetabgeordneten der haredischen Partei "Yahadut HaTorah" handelt. Er ist Mitglied der Chassidut Vishnitz.
    Seine Tochter ist ebenfalls geschieden und alleinerziehend. Weiss aber, was sie will und ist politisch bei Zipi Livni aktiv.
    Weiterhin ist sie relig. geblieben - haelt Schabbat etc. Nur ihren Rock wechselte sie in eine Hose.:-)))

    Scheint wohl eben eine Mode zu sein.:-)

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